08.07.2018, 22:37
Ups, hatte soeben den falschen Text gepostet - den hier wollte ich noch eingestellt haben:
Nicht urteilen und bewerten – ein Mißverständnis
Posted on March 8th, 2014 by Niels
In spirituellen Kreisen zirkuliert die Vorstellung, dass das wahre spirituelle Leben darin besteht, nicht zu bewerten und nicht zu urteilen.
Was kaum jemandem auffällt ist jedoch, dass in dieser Vorstellung eine implizite Bewertung steckt:
Nicht-Bewerten ist besser als Bewerten, Urteilen ist schlechter als Nicht-Urteilen. Auch aufgrund dieses performativen Widerspruchs lassen sich de facto keine Menschen finden, die nie bewerten und nie urteilen, aber oft genug spirituell angehauchte Menschen, die ständig urteilen, ohne es zu bemerken…
Urteilen und Bewerten sind notwendige Werkzeuge unseres Verstandes, unverzichtbar für unsere Orientierung in der Welt. Jeder noch so alltäglichen Entscheidung unseres Lebens gehen Urteile und Bewertungen voraus:
Du isst Ketchup auf deinen Pommes Frites, weil dir Ketchup besser schmeckt als Mayonaise.
Du kannst dich in der Welt nicht zurecht finden und nicht dein Leben gestalten, wenn Du nicht bewertest und nicht beurteilst.
Woher aber rührt die spirituelle Idee des Nicht-Urteilens? Aus der Meditation. In den verschiedensten Mediationslehren heißt es immer wieder, man solle während der Meditation nicht urteilen und bewerten, sondern nur beobachten und alle Gedanken und Gefühle gleich behandeln.
Als Meditations-Instruktion macht das auch Sinn, denn ein “Ziel” des Meditierens ist die Ent-deckung des Zeugenbewusstseins, der reinen Bewusstheit – jener Bewusstheit, die alle Gedanken, Gefühle, Geschehnisse wahrnimmt und daher von Natur aus nicht urteilt, weil sie nur Bewusstheit ist und nicht urteilen kann. Urteilen ist eine Funktion des Denkens, das reine Zeugenbewusstsein aber nimmt diesse Denken nur wahr und kann auch nichts anderes als nur wahrnehmen.
Und genau da liegt das Mißverständnis: In der Verwechslung von reinem Zeugenbewusstsein (“absoluter Wahrheit”) und Denken (“relativer Wahrheit”).
Reine Bewusstheit liegt jenseits von Urteilen und Nicht-Urteilen, Bewerten und Nicht-Bewerten. Nicht-Urteilen und Nicht-Bewerten sind bloß Verneinungen / Negationen, also immer noch Denken. Das Zeugenbewusstsein aber ist nicht Denken, sondern die das Denken wahrnehmende Instanz.
Die Ideologie des Nicht-Bewertens ist also ein Denk-Fehler, der aus einer schlecht verstandenen Meditationserfahrung herrührt. Ein Denkfehler im Übrigen, den der Buddha, welcher gerne von spirituellen Pseudo-Nicht-Bewertern zitiert wird, nicht gemacht hat: Zu seinem achtfachen Pfad der Befreiung vom Leiden gehört rechtes Denken, was das Erlernen richtiger Differenzierung und Unterscheidung – d.h. auch: angemessenen Bewertens und Beurteilens – beinhaltet.
Das Training in Meditation dient nicht dazu, ganz mit dem Denken aufzuhören, sondern jene Bewusstheit zu ent-decken, die frei von Gedanken (nicht: ohne Gedanken) ist. Die Entdeckung dieser Freiheit ermöglicht besseres Denken und angemesseneres, menschlicheres Urteilen und Bewerten.
Nicht das Urteilen und Bewerten ist das Problem, sondern ein Urteilen und Bewerten, welches sich als solches nicht bewusst ist und nicht in immer neuer freier Reflexion überprüft wird. Und je freier Du von Gedanken sein kannst, desto reflektierter kannst Du denken.
Alles Liebe,
Niels Koschoreck
http://web.archive.org/web/2014111419371...erstndnis/
Nicht urteilen und bewerten – ein Mißverständnis
Posted on March 8th, 2014 by Niels
In spirituellen Kreisen zirkuliert die Vorstellung, dass das wahre spirituelle Leben darin besteht, nicht zu bewerten und nicht zu urteilen.
Was kaum jemandem auffällt ist jedoch, dass in dieser Vorstellung eine implizite Bewertung steckt:
Nicht-Bewerten ist besser als Bewerten, Urteilen ist schlechter als Nicht-Urteilen. Auch aufgrund dieses performativen Widerspruchs lassen sich de facto keine Menschen finden, die nie bewerten und nie urteilen, aber oft genug spirituell angehauchte Menschen, die ständig urteilen, ohne es zu bemerken…
Urteilen und Bewerten sind notwendige Werkzeuge unseres Verstandes, unverzichtbar für unsere Orientierung in der Welt. Jeder noch so alltäglichen Entscheidung unseres Lebens gehen Urteile und Bewertungen voraus:
Du isst Ketchup auf deinen Pommes Frites, weil dir Ketchup besser schmeckt als Mayonaise.
Du kannst dich in der Welt nicht zurecht finden und nicht dein Leben gestalten, wenn Du nicht bewertest und nicht beurteilst.
Woher aber rührt die spirituelle Idee des Nicht-Urteilens? Aus der Meditation. In den verschiedensten Mediationslehren heißt es immer wieder, man solle während der Meditation nicht urteilen und bewerten, sondern nur beobachten und alle Gedanken und Gefühle gleich behandeln.
Als Meditations-Instruktion macht das auch Sinn, denn ein “Ziel” des Meditierens ist die Ent-deckung des Zeugenbewusstseins, der reinen Bewusstheit – jener Bewusstheit, die alle Gedanken, Gefühle, Geschehnisse wahrnimmt und daher von Natur aus nicht urteilt, weil sie nur Bewusstheit ist und nicht urteilen kann. Urteilen ist eine Funktion des Denkens, das reine Zeugenbewusstsein aber nimmt diesse Denken nur wahr und kann auch nichts anderes als nur wahrnehmen.
Und genau da liegt das Mißverständnis: In der Verwechslung von reinem Zeugenbewusstsein (“absoluter Wahrheit”) und Denken (“relativer Wahrheit”).
Reine Bewusstheit liegt jenseits von Urteilen und Nicht-Urteilen, Bewerten und Nicht-Bewerten. Nicht-Urteilen und Nicht-Bewerten sind bloß Verneinungen / Negationen, also immer noch Denken. Das Zeugenbewusstsein aber ist nicht Denken, sondern die das Denken wahrnehmende Instanz.
Die Ideologie des Nicht-Bewertens ist also ein Denk-Fehler, der aus einer schlecht verstandenen Meditationserfahrung herrührt. Ein Denkfehler im Übrigen, den der Buddha, welcher gerne von spirituellen Pseudo-Nicht-Bewertern zitiert wird, nicht gemacht hat: Zu seinem achtfachen Pfad der Befreiung vom Leiden gehört rechtes Denken, was das Erlernen richtiger Differenzierung und Unterscheidung – d.h. auch: angemessenen Bewertens und Beurteilens – beinhaltet.
Das Training in Meditation dient nicht dazu, ganz mit dem Denken aufzuhören, sondern jene Bewusstheit zu ent-decken, die frei von Gedanken (nicht: ohne Gedanken) ist. Die Entdeckung dieser Freiheit ermöglicht besseres Denken und angemesseneres, menschlicheres Urteilen und Bewerten.
Nicht das Urteilen und Bewerten ist das Problem, sondern ein Urteilen und Bewerten, welches sich als solches nicht bewusst ist und nicht in immer neuer freier Reflexion überprüft wird. Und je freier Du von Gedanken sein kannst, desto reflektierter kannst Du denken.
Alles Liebe,
Niels Koschoreck
http://web.archive.org/web/2014111419371...erstndnis/